Dienstag, 19. Mai 2009

°13 __Politik und Religion in Palästina

Haifa
„Ich bin Palästinenser und Kommunist“, sagt der junge Mann gegenüber. Er hebt sein Bierglas und prostet mir zu. Wir sitzen in einer Bar in der nordisraelischen Stadt Haifa. Die Wände der Bar sind rot gestrichen. An einer Wand hängen Poster mit Hinweisen auf kulturelle und politische Veranstaltungen. Die Bar ist gut gefüllt. Hier trifft man Haifas Intellektuelle. Na, ja zumindest die Menschen, die sich selber für Intellektuelle halten, erklärt mein Gegenüber lachend und nimmt einen mächtigen Schluck aus seinem Bierglas. Die Bars und Cafés in Haifas Masada-Straße sind der Treffpunkt für die linke Szene der Stadt. "Oder für das, was von der linken Szene übrig geblieben ist“, fügt mein Gesprächspartner hinzu. Das ganze politische Spektrum in Israel sei nach rechts gerückt, weit nach rechts.

Mein Gesprächspartner studiert an der Universität von Haifa. Neben dem Studium ist er politisch aktiv. Er engagiert sich in der Partei Abnaa el-Balad (Die Söhne des Landes). „Wir treten ein für einen demokratischen säkularen Staat für alle Bürger dieses Landes“, erklärt der junge Student. „Wir fordern das Ende der israelischen Besatzung, die Möglichkeit der Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge und das Ende eines per Definition jüdischen Israels.“ Seine Partei boykottiert die Israelischen Parlamentswahlen und tritt nur auf lokaler Ebene zu Wahlen an.

Die Mitglieder der Partei der „Söhne und Töchter des Landes“ sind zum größten Teil Palästinenser, die heute innerhalb der Grenzen Israels leben. Nach dem „Unabhängigkeitskrieg“ von 1948 waren sie, ihre Eltern, oder Großeltern auf dem israelischen Gebiet verblieben. Daher werden sie heute auch Palästinenser von 1948 genannt. Neben den Palästinensern sind in der Partei auch einige jüdische Staatsbürger Israels organisiert. Sie verstehen sich selbst als „jüdische Palästinenser“.

„Wie kann ich für einen Staat Israel eintreten, der per Definition jüdisch ist?“ Fragt mich der junge Aktivist. „Dieser Staat beschneidet mich in meinen sozialen und kulturellen Rechten. Ich kann beispielsweise nicht in meiner Muttersprache studieren. An der Schule musste ich zionistische Texte lesen, palästinensische Dichter waren Tabu. Die politische Aktivität meiner Partei wird vom israelischen Staat beschränkt. Ich bekomme Probleme, wenn ich eine palästinensische Fahne bei mir habe. " Sagt er. Und überhaupt, wie könne ein Staat per Definition gleichzeitig jüdisch und demokratisch sein? Das sei genauso unmöglich wie islamisch und demokratisch oder christlich und demokratisch. Erst recht, wenn es eine nicht-jüdische Minderheit im Land gebe, die 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache.

Er möchte in einem säkularen, demokratischen Staat leben, erklärt er. Ein Staat mit dem er sich zumindest grundlegend identifizieren könne. Jeder der heute hier lebt und bleiben möchte, solle selbstverständlich bleiben dürfen. "Gleiche Rechte für alle." Vor allem dürfe der Staat aber keine religiöse oder ethnische Gruppe per Definition von der Staatsidentität ausschließen. Das Recht auf Rückkehr dürfe nicht für eine Gruppe gelten und für eine andere nicht. Das zentrale Problem sei die kolonialistische, zionistische Natur des Israelischen Staates, sagt er und bestellt eine neue Runde Bier.

Ehemaliger arabischer Beauty-Salon in Haifa

Jasuf
Nur drei Wochen nach meinen Gesprächen in Haifas „Intellektuellen-Zirkeln“ bin ich zu Besuch in einem kleinen palästinensischen Dorf namens Jasuf. Luftlinie liegen Haifa und Jasuf nicht weit voneinander entfernt. Zwischen den beiden Orten steht die israelischen Sperrmauer, welche das Westjordanland von Israel abschneidet. Doch nicht nur die Sperrmauer trennt diese zwei Orte voneinander.

Vier Tage lebe ich in Jasuf, teile das Haus mit einer palästinensischen Familie. Nach Auskunft meiner Gastgeber zählt Jasuf ganze 2.000 Einwohner. Das Herz der Gemeinschaft bildet die örtliche Moschee. Jeden Freitag treffen sich hier die Männer des Dorfes zum Gebet. Die Frauen bleiben zu Hause. „Es wäre unvorstellbar, für mich mit einer Frau alleine durch das Dorf zu gehen; es sei denn sie ist aus meiner Familie“, erklärt mir mein Gastgeber. Er ist Ende zwanzig und studiert in Ramallah. Er lebt in Jasuf mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und seiner Schwester. „Die Religion ist hier wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens, “ sagt er.

An den Abenden sitze ich mit ihm und seinen männlichen Freunden zusammen. Die Wasserpfeife macht die Runde. Alkohol ist absolutes Tabu. Ich erzähle, dass ich in Ramallah palästinensisches Bier probiert habe und dass es mir gut geschmeckt hat. „Es gibt palästinensisches Bier?“ fragen meine neuen Bekannten erstaunt. Das wussten sie gar nicht, ergänzen sie.

Gemeinsames Wasserpfeifenrauchen

Die abendlichen Unterhaltungen sind stets angeregt. Mein Gastgeber muss den Übersetzer spielen. Thema unserer Unterhaltungen ist meist die Religion. Man ist interessiert an meiner Weltsicht. Die jungen Männer unterhalten sich offen über alle Facetten der Religion. Tabus gibt es keine. Wir sprechen über Geschlechterrollen in verschiedenen Gesellschaften und den Einfluss von Tradition und Religion. Unsere Ansichten könnten in vielen Punkten wohl kaum weiter auseinander liegen. Als ich den Kampf von Schwulen und Lesben um Respekt und Anerkennung, mit dem Kampf der palästinensischen Minderheit in Israel vergleiche, erblicke ich allerdings eher verwirrte Gesichter um mich herum.

Der Islam sei eine Religion, die kritischen Diskurs fördere, erklärt man mir. Vor allem die Wissenschaften würden im Islam hoch geschätzt. Während die christliche Kirche Bücher wegschloss und Wissenschaftler hinrichten ließ, hätten muslimische Geistliche die Erkenntnisse der Wissenschaft stets hoch geschätzt. Die jungen Männer wissen gut bescheid über islamische Geschichte und sind stolz auf die Errungenschaften der arabischen Welt.

Der Großteil meiner neuen Freunde im Dorf sind Mitglieder der Fatah Partei. Die Fatah ist nach eigener Definition eine säkulare, nationalistische Partei. Religion sei für die Menschen in Jasuf zwar bestimmender Faktor der Identität, erklärt man mir. Trotzdem hätten islamistische Parteien wie die Hamas im Ort nur wenige Unterstützer. Zumindest öffentlich bekräftigt man stets die Unterstützung für die Fatah und den so genannten Friedensprozess mit Israel.

Das Dorf ist arm. Die Menschen leiden unter regelmäßigen Übergriffen von Siedlern, unter den israelischen Soldaten an den Checkpoints, unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Ein Ende des Konfliktes liegt hier im direkten alltäglichen Interesse der Menschen. Das Problem sei das mangelnde Interesse der Mächtigen an unseren Problemen, sagt mein Gastgeber. „Auf beiden Seiten.“

Jasuf - Am linken oberen Bildrand ist eine israelische Siedlung zu erkennen. Die israelischen Settlements liegen fast immer oben auf den Hügelspitzen.

Nablus

„Hast du schon seine Hand geschüttelt?“ Fragt der Professor seine Studentin als wir gemeinsam in einem Cafè beieinander sitzen. Sie schüttelt den Kopf. Das Händeschütteln zwischen Männern und Frauen gehört in Nablus nicht zur alltäglichen Begrüßungszeremonie.

Der Professor scherzt: Für mich müsse die Studentin wohl eine Ausnahme machen, schließlich sei ich Deutscher und die seien weithin bekannt für besonders leidenschaftliches und ausführliches Händeschütteln. Die Studentin lacht und schüttelt meine Hand. Sie trägt Kopftuch und einen langen Mantel - trotz sommerlicher Temperaturen. Neben ihr sitzt ihr zukünftiger Ehemann. Vor einem Monat haben sie zum ersten Mal miteinander gesprochen. Letzte Woche hat er um ihre Hand angehalten.

Der Professor unterrichtet islamische Geschichte an der Universität von Nablus. Nablus ist die bevölkerungsreichste Stadt im Norden des Westjordanlandes. Man sieht hier wesentlich mehr Frauen mit Kopftüchern als in Ramallah. Weder in Geschäften noch Cafès gibt es Alkohol zu kaufen. „In letzter Zeit bekommen traditionalistische islamische Gruppen hier mehr und mehr Zulauf. Die wollen mir doch tatsächlich erzählen, wie ich meine Vorlesungen zu halten habe“, sagt der Professor für islamische Geschichte merklich verärgert. Er spricht fließend deutsch. Vor Jahren hat er in Deutschland promoviert.

Nablus

Am Abend sitze ich mit dem Professor und seinen Freunden beisammen. Es gibt Unmengen an Essen. Auf dem Tisch stehen mehrere Flaschen mit hochprozentigem Alkohol. Regelmäßig trifft sich eine kleine Gruppe von Professoren zu solchen gemeinsamen Abendessen. Es wird diskutiert, gelacht, geraucht und reichlich getrunken. „Es gibt Menschen hier, denen solche Abende ein Dorn im Auge sind“, erzählt mir einer der Männer. „Deshalb hängen wir das auch nicht an die große Glocke.“

Es wird viel gescherzt an diesem Abend: „Warum hat Gott alle Propheten nur in dieses winzige Land geschickt? Und keinen einzigen beispielsweise nach Japan oder …Kanada?“ fragt einer. “Gott muss betrunken gewesen sein, “ scherzt ein anderer. „Darauf trinke ich!“ ruft ein weiterer.“ Einer der alten Herren ergreift eine Flasche Whisky und balanciert sie auf seinem Kopf. „Allah ist groß“, ruft er, während er mit der Flasche auf dem Kopf durch den Raum tanzt. Alle lachen.

Ein Jura-Professor erzählt mir, er sei gegen den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Er sei gegen die Intifada. "Intifada, Widerstand", er könne das nicht mehr hören. Sein Hemd spannt sich über einen gewaltigen Bauch. Er sitzt weit zurückgelehnt in seinem Sessel. In der einen Hand hält er ein Glas Whisky, in der anderen eine Zigarette. Die Aufstände seien schlecht fürs Geschäft, sagt er. Langsam und genüsslich lässt er den Rauch seiner Zigarette aus seinem Mund entweichen.

Der Jura-Professor sei in erster Linie Geschäftsmann, erklärt mein Freund der Islam-Profesor. Viele palästinensischen Geschäftsmänner und Arbeitgeber seien gegen diesen ganzen "Revolutionsquatsch". Sie seien in erster Linie an guten Geschäftsbeziehungen mit Israel interessiert.

Zerrissene palästinensische Flagge

Haifa, Jasuf, Nablus - wer mit den Menschen in Palästina spricht, bekommt einen kleinen Eindruck von der Vielfalt palästinensischer Perspektiven. Sie könnten kaum verschiedener sein. Was sie vereint, ist der Traum von einem Leben ohne Besatzung.

Sonntag, 17. Mai 2009

°12 __Auf eine Wasserpfeife in Ramallah

Ich muss zugeben, in den letzten Wochen, gab es einen merklichen Mangel an neuen Blog Einträgen auf dieser Seite. Zu meiner Verteidigung sei an dieser Stelle Folgendes angemerkt: Man lässt mich nicht! Man hindert mich daran zu schreiben! Ich bin Opfer einer mir zuvor unbekannten, dafür aber umso effektiveren Form der Zensur! Heimtückisch und hinterlistig hindern mich lokale Stellen daran kritische Berichte zu verfassen.

Es sind zwei Instrumente mit denen man versucht mich zum Schweigen zu bringen: Die Kontaktfreudigkeit und Gastfreundschaft der Menschen hier in Palästina.

Beinahe täglich sehe ich mich mit folgender Situation konfrontiert: Kaum habe ich in einem Café Platz genommen, einen Kaffee bestellt, meinen Laptop geöffnet…, schon spricht mich jemand vom Nachbartisch aus an: „Entschuldigung, darf ich fragen, woher Du kommst? Wie heißt Du? Komm setz’ Dich doch zu uns. Willkommen in Palästina! Was treibt Dich hierher?“ So geht es eine ganze Weile weiter. Stets interessiert. Stets höflich. Oft dauert es nicht lange, bis mich mein jeweiliger Tischnachbar sogar zu sich nach Hause einlädt: „Ich möchte, dass Du meine Familie kennen lernst. Was machst du morgen Abend?“ Vor soviel Kontaktfreude muss selbst der ambitionierteste Schreiberling kapitulieren. Nach über zwei Wochen im Westjordanland habe ich es nun aber doch geschafft einige Sätze zu verfassen.

„Welcome to Palestine” Begrüßt mich der junge Mann an der Hotel Rezeption. Meine erste Station im Westjordanland ist die Stadt Ramallah, die inoffiziellen Hauptstadt des inoffiziellen Staates Palästina. Die Stadt hat inklusive umliegender Ortschaften gerade einmal 65.000 Einwohner und ist damit weit kleiner als andere palästinensische Städte wie Hebron oder Nablus. Trotzdem ist Ramallah das politische Herz Palästinas. Hier befindet sich der palästinensische Präsidentenpalast, internationale Organisationen haben hier ihre Büros. Im überschaubaren Stadtzentrum drängen sich Menschenmassen, welche den meisten Großstädten alle Ehre machen würden.

Ramallah liegt keine Autostunde von Jerusalem entfernt. Gäbe es nicht die monströse graue israelische Sperrmauer, die Jerusalem vom Westjordanland abschneidet und gäbe es nicht die israelischen Soldaten die den Zugang zur Stadt kontrollieren; man könnte meinen man käme in einen Vorort Jerusalems.

Am Tag nach meiner Ankunft in Ramallah sitze ich auf weich gepolsterten Kissen und nippe an einem Glas Tee. An den Nachbartischen blubbern Wasserpfeifen. Dichte Rauchschwaden ziehen durch den Raum. Das andere Ende des Raumes sehe ich nur verschwommen. Der Geruch von Apfeltabak liegt schwer in der Luft. Aus den Lautsprechern plärrt arabische Popmusik. Auf Fernsehbildschirmen flimmern die bunten Bilder eines Libanesischen Musiksenders. Ich sitze in einem Wasserpfeifen-Lokal im siebten Stock eines, in die Tage gekommenen, Einkaufszentrums.

Ich öffne meinen Laptop, beginne zu schreiben, blicke auf. „Entschuldigung!“ Ein junger Mann vom Nachbartisch spricht mich auf Englisch an. „Darf ich fragen, woher Sie kommen?“

Nur wenig später sitze ich mit ihm und seinen Freunden am Tisch. Ich schüttel’ Hände, blicke in freundliche Gesichter. Die vielen arabischen Namen kann ich mir kaum merken. Wir kommen ins Gespräch. Die Unterhaltung dauert eine ganze Weile. Freunde kommen und gehen.

Langsam lehrt sich das Lokal. Noch immer sitze ich mit dem jungen Mann am Tisch. Sein Name ist Bajes. Er ist Mitte 20. Während des Gesprächs wippt er nervös mit dem Bein. Er saugt an seiner Wasserpfeife. Inhaliert tief. Die Pausen zwischen den Zügen sind kurz. Er raucht viel. Mehrmals lässt er neue Kohle kommen.

„Ich bin Kameramann“, erzählt Bajes. Er arbeite hier in Ramallah, sagt er. Eigentlich lebe er aber in Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Amman sei schön, fährt er fort. „Keine Besatzung“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. Seine Frau sei gerade dort. Stolz zeigt er mir seinen Ehering. Die Hochzeit war vor einem Jahr. Es ist ein wuchtiger Ring. Während des Gespräches dreht er häufig daran. Er wippt mit dem Bein, nimmt einen tiefen Zug aus der Wasserpfeife. Das Wippen wird weniger. Als der Rauch in einer dichten Wolke aus seinem Mund und Nase steigt, muss er husten, tief und rasselnd.

Plötzlich bricht es aus ihm heraus: „Seit Sieben Monaten habe ich meine Frau nicht gesehen.“ Sein Englisch ist nicht sehr gut. Manchmal verwechselt er Worte und ihre Bedeutung. „Sieben Monate?“ frage ich ihn. „Meinst du vielleicht sieben Tage? Oder Wochen? Etwas unsicher lächele ich ihn an. „Monate!“, antwortet Bajes bestimmt „Sieben Monate!“ Erneut muss er husten.

Nervös spielt er an seinem Ring, wippt mit dem Bein. Setzt seine Brille ab. Setzt sie wieder auf. „Meine Frau hat einen jordanischen Pass“ erzählt er, „ich habe einen palästinensischen. Wegen meiner Arbeit muss ich pendeln zwischen Jordanien und Palästina. Vor sieben Monaten wollte ich, wie so oft, über die Grenze von Palästina nach Jordanien, zu meiner Frau. Normalerweise ist das kein Problem. Doch diesmal ließen die israelischen Soldaten mich nicht einreisen. Seit sieben Monaten sitze ich nun hier fest“, fährt Bajes fort. "Und sie sagen mir nicht warum.“

An der Grenze zwischen dem Westjordanland gibt es neben palästinensischen und jordanischen Grenzkontrollen auch israelische Soldaten die kontrollieren wer kommt und wer geht.

„Ich vermisse meine Frau“ sagt Bajes. Seine Stimme klingt traurig. Der Husten schüttelt ihn. „Du solltest weniger rauchen“ sage ich. Er schaut mich an und lächelt. „An guten Tagen rauche ich zwei oder drei Pfeifen“ antwortet er. „An schlechten zehn oder mehr. Seit einiger Zeit fällt es mir schwer mich zu konzentrieren. Ich vermisse meine Frau“, wiederholt er. Bajes unterdrückt ein Husten. Er dreht an seinem Ehering und winkt den Kellner heran. Der Kellner legt frische Kohle auf die Wasserpfeife. Bajes nimmt einen tiefen Zug.

Palästinensische Bekannte haben mir versichert, dass die Aus- und Einreise von und nach Jordanien zurzeit größtenteils problemlos verlaufe. Besonders die Ausreise sei eigentlich unproblematisch. Es gebe aber immer wieder Szenen von Willkür, sowohl am Grenzübergang, als auch an israelischen Checkpoints. Die Familienzusammenführung von Palästinensern mit unterschiedlichen Pässen, oder unterschiedlichen Aufenthaltsländern, sei allerdings ein generelles Problem.

Ein Bekannter erzählt mir von einem Freund, der zurzeit in den Vereinigten Staaten lebt und arbeitet. Seine Frau wohnt mit den gemeinsamen Kindern im Westjordanland. Er bekommt von den Israelis keinen langfristigen Aufenthaltstitel für die Palästinensischen Gebiete. Selbst eine Besuchserlaubnis wird ihm, nach mehrmaligen Ein- und Ausreisen, inzwischen verweigert. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B'tselem verweigert Israel auf diese Weise zehntausenden Menschen die Familienzusammenführung innerhalb der palästinensischen Gebiete.

Video: 'Raed' der tanzende Verkehrspolizist von Ramallah

Montag, 4. Mai 2009

°11 __ Erinnerungskultur und historische Verantwortung

Dizengoff-Center, das Zentrum Tel-Avivs. An normalen Tagen schiebt sich hier der Tel-Aviver Stadtverkehr über die überfüllte Straßenkreuzung. Der Straßenlärm mischt sich mit den zahlreichen Autohupen und den Unterhaltungen der vielen Passanten.

An diesem Vormittag steht diese Kreuzung im Herzen Tel-Avivs für einige Minuten komplett still. Autos bleiben mitten auf der Kreuzung stehen. Die Menschen auf den Gehsteigen halten inne. Sie bewegen sich nicht mehr vom Fleck. Die Insassen der Fahrzeuge steigen aus und stehen neben den geöffneten Autotüren. Die Ampeln über ihren Köpfen wechseln von Rot zu Grün und wieder zurück. Keiner beachtet sie. Keiner bewegt sich. Keine Hupe tönt. Kein Wort wird gesprochen. Während der gespenstischen Szene erklingt minutenlang eine Sirene.

Auf diese Weise erinnern die Israelis einmal jährlich an die jüdischen Opfer des Holocausts. Für einige Minuten erklingen dann im ganzen Land die Warnsirenen. Die Menschen halten inne. In Innenstädten und auf Schnellstraßen kommt der komplette Verkehr zum Erliegen. Die Menschen treten neben ihre Fahrzeuge. In Fußgängerzonen und auf Gehwegen bleiben die Menschen stehen. Ladenbesitzer treten vor ihre Geschäfte.

So bald die Sirene verklingt endet die Szene wieder. Alles setzt sich wieder in Bewegung - als wäre nichts gewesen. Die Autofahrer steigen wieder in ihre Autos, drücken auf ihre Hupen. Die Passanten nehmen ihre Unterhaltungen wieder auf. Den Unbedarften erinnern solche Szenen an Ausschnitte eines Sience Fiction Films, in dem die Zeit für einen Moment stehen bleibt und alle Bewegungen einfrieren.

Wenige Tage nach diesen Eindrücken vom Erinnerungstag besuche ich Jerusalem. Nur eine kurze Busfahrt von Jerusalems betriebsamer Innenstadt entfernt liegt die Gedenkstätte Yad Vashem. Auch in Yad Vashem wird an das Grauen des Holocausts erinnert.

Yad Vashem ist ein beeindruckender und zugleich verstörender Ort. Ein Mahnmal der unvorstellbaren Schrecken des Holocausts. Die Ausstellung enthält ergreifende Videosequenzen, die unter die Haut gehen. Zeitzeugen kommen zu Wort: Sie erzählen von der Vertreibung, den Morden, der Entmenschlichung, der Vernichtung. Geschichten, die man nicht mehr los wird. Auch die Gedenkhalle für die ermordeten jüdischen Kinder produziert Gänsehaut. 1,5 Millionen Mal reflektieren Spiegel das Licht einer einzelnen Kerze. Jede Reflektion der Flamme steht für eines der ermordeten Kinder.

Das Herz des Yad-Vashem-Komplexes bildet ein klaustrophobischer Gang. Wände aus Beton neigen sich auf den Besucher herab. Hoch oben ist nur ein schmaler Streifen Tageslicht sichtbar. An seinem Ende öffnet sich der Gang schließlich zu einem ausladenden Balkon. Vor dem Besucher breiten sich die grünen Hügel Israels aus. Aus den dunklen Tiefen der Judenverfolgung tritt man hinaus und blickt in das licht-durchflutete, grüne, heilige Land.

Verlässt man Yad Vashem zu Fuß, so gelangt man zu einem schmalen Pfad. Der Pfad verbindet die Gedenkstätte mit dem Mount Herzl. Er führt durch die grünen Hügel Jerusalems vom „Holocaustland in das Heimatland“. Wichtige Israelische Staatsmänner und Soldaten des israelischen „Unabhängigkeitskrieges“ liegen hier begraben. Auf diese Weise verbindet der Pfad die Besiedlung Palästinas, die Gründung des Staates Israels und den israelischen Unabhängigkeitskrieg mit den jüdischen Opfern der Shoa. Offiziell heißt der Pfad daher „Verbindungspfad“ oder auch „Pfad der Auferstehung.“

Der Verbindungspfad ist, ebenso wie der Blick vom Balkon der Gedenkstätte, Teil einer Symbolik. Beide Installationen stellen symbolisch dar, was offiziell zum israelischen Selbstverständnis gehört. Der Staat Israel wird als jüdische Heimatstätte und Zufluchtsort präsentiert und darüber hinaus als bewaffnete Bastion gegen die Judenverfolgung. Symbolisch wird eine direkte Linie gezogen zwischen dem Leid der Shoa-Opfer und dem bewaffneten Kampf des modernen Staates Israels. Diese enge Verknüpfung macht im Umkehrschluss jede Kritik an Israel und aktueller israelischer Politik äußerst problematisch. Besonders fraglich wird dies vor allem beim Blick auf die so genannte israelische "Sicherheitspolitik".

Vor einem guten Jahr sprach die deutsche Bundeskanzlerin vor dem israelischen Parlament, der Knesset. Sie erklärte, dass sie und die Bundesrepublik Deutschland der „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet“ seien. Diese historische Verantwortung müsse als Teil der „Staatsräson“ Deutschlands verstanden werden. Ganz im Sinne der Yad Vashem Symbolik leitet die deutsche Bundesregierung aus der historischen Verantwortung Deutschlands eine Verantwortung und Unterstützung für den modernen Staat Israel ab. Diese historische Verantwortung wird aber nicht nur herangezogen, um das Existenzrecht Israels zu betonen, oder um die andauernde Wichitigkeit des Kampfes gegen den Antisemitismus zu unterstreichen; sie strahlt darüber hinaus auf die Rechtfertigung einer mehr als fragwürdigen israelischen "Sicherheitspolitik" ab.

So stellte sich Frau Merkel im Dezember letzten Jahres erneut und ausdrücklich an die Seite Israels. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Operation “ Gegossenes Blei “ gerade begonnen. Während israelische Soldaten in den Gaza Streifen einrückten und Raketen und Phosphorbomben auf die Bevölkerung nieder regneten, betonte unsere Bundeskanzlerin, dass die Verantwortung für diese Entwicklung „eindeutig und ausschließlich" bei der palästinensischen Hamas liege. Für Frau Merkel war der israelische Angriff ein reiner Akt der Selbstverteidigung.

Während des Gaza-Krieges starben über 1400 Menschen. Ein großer Teil waren Kinder und Frauen. Menschen auf beiden Seiten wurden getötet, verletzt, erlitten Traumata. Menschen litten und starben, vermeintlich für die „israelische Sicherheit“. Über 1400 Tote, über 5000 Verletzte, viele tausende zerstörte Häuser, eine zerstörte Infrastruktur und eine traumatisierte Bevölkerung: Dies ist der Preis für die vermeintliche "Sicherheitspolitik" Israels.

Der Gaza-Krieg ist dabei nur ein Beispiel für eine viel größere Problematik. Schaut man genauer hin, so stellt man fest, dass die vermeintliche „Sicherheitspolitik“ Israels auch als ständige Rechtfertigung dient, für die jahrzehntelange Besatzung der palästinensischen Gebiete, für das Netzwerk von Militärcheckpoints, für eine Grenzmauer die Menschen von ihrem Land abschneidet, für Ausgangssperren, für Massenverhaftungen, für so genannte „gezielte Tötungen“, für eingeschränkte Rechte der Palästinenser sowohl in den Palästinensischen Gebieten als auch innerhalb Israels…. Die Liste ist lang und an dieser Stelle noch lange nicht zu Ende. Höchst fraglich bleibt dabei vor allem, ob diese so genannten Sicherheitsmaßnahmen nicht in Wirklichkeit einer der Hauptgründe für Israels Unsicherheit sind.

Wir sollten uns fragen, ob der Pfad, der richtiger Weise bei der historischen Verantwortung Deutschlands seinen Anfangspunkt hat, tatsächlich zur Rechtfertigung solcher Maßnahmen führen darf. Wir sollten uns fragen, ob wir noch dem richtigen Pfad folgen, oder, ob wir vielleicht irgendwo falsch abgebogen sind.



Jerusalem - Al-Quds

Mittwoch, 22. April 2009

°10 __ Gastfreundschaft

Nach ihrer Heimkehr schwärmen deutsche Touristen häufig und gerne von der Gastfreundschaft der Menschen des gerade bereisten Landes. Zuweilen können solche Schilderungen auch einen seltsamen Beigeschmack haben. Je erstaunter, überraschter und begeisterter der Heimkehrer von seinen Erlebnissen erzählt, desto mehr drängt sich die Frage auf, welches Bild er/sie wohl vor der Reise von der anderen Kultur und ihren Menschen hatte – und wie er oder sie über all die Dinge denkt, die nicht in den Bereich der "Gastfreundschaft" fallen.

Trotz dieser kritischen Einführung, fühle ich mich geradezu genötigt, an dieser Stelle über meine Erlebnisse mit der örtlichen Gastfreundschaft zu berichten.

Überrascht, erstaunt und begeistert muss ich hinzufügen: Es ist wohl eine ganz besondere und unerwartete Form der Gastfreundschaft, die mir in den letzten Tagen zu Teil wurde.

Wie bereits berichtet, verschlug mich meine Reise vor einigen Tagen in die kleine arabische Stadt Nazareth. In der Lobby eines Nazarether Gasthauses hatte ich auf einem der bunten Kissen Platz genommen, welche dort als Sitzgelegenheit dienten. Draußen hatte mich ein Schild herein gelockt, das freien Internetzugang versprach. Als ich mich gerade gesetzt hatte eilte ein junger Mann heran, um mir einen Tee zu bringen. Wir kamen ins Gespräch.

Eigentlich lebe er in England, erzählte er. Er arbeite dort als Friseur im Salon seines Cousins. Hier im Gasthaus helfe er nur aus. Da ich zufällig gerade auf der Suche nach einem Friseur war, fragte ich ihn, ob er mir nicht einen Salon in Nazareth empfehlen könne. Er überlegte kurz. „Unsinn“ sagte er dann. „ In einer Stunde habe ich hier Feierabend. Ich wohne nur fünf Minuten entfernt, komm doch einfach mit zu mir,“ Keine Stunde später saß ich in seinem Innenhof - einen Friseurkittel um die Schultern geschlungen. Tee und Haarschnitt waren selbstverständlich umsonst.

Wenige Tage später traf ich auf einer Feier einen syrischen Zahnarzt. Wir unterhielten uns. Als ich während der Unterhaltung einmal laut auflachte gefroren plötzlich seine Gesichtszüge.

„Halt!“ rief er.
Erschrocken hielt ich inne.
„Lächel noch einmal“, forderte er mich dann auf.
Vorsichtig lächelte ich ihn an.
Er begutachtete ausführlich meine Schneidezähne.

Seit Schulzeiten sieht mein einer Schneidezahn etwas mitgenommen aus. Der Versuch ein Tennisnetz zu überspringen endete damals mit einer Bruchlandung auf meinen Frontzähnen. Seit Jahre nehme ich mir vor, an meinem Zahn etwas machen zu lassen. Zahnarztbesuche stehen auf meiner ohnehin viel zu langen To-Do-Liste allerdings nicht sehr weit oben.

„Daran müssen wir was machen“, sagte der junge Doktor. „Morgen kommst du in meiner Praxis vorbei und ich bringe das in Ordnung - selbstverständlich umsonst, Ehrensache!“ Zu diesem Zeitpunkt kannten wir uns gerade mal eine knappe halbe Stunde.

Leider hatte ich für den nächsten Tag bereits andere Pläne. Aber falls es mich noch mal in die Gegend verschlagen sollte, so werde ich seiner Praxis mit Sicherheit einen Besuch abstatten.

Fassen wir zusammen: Ich brauchte einen Haarschnitt und bekam eine Gratis-Friseur-Sitzung in einem sonnigen Innenhof. Meine Schneidezähne benötigen seit Jahren einen neuen Schliff und ein Zahnarzt den ich keine 30 Minuten kenne, bietet mir eine Gratis-Behandlung an.

Ich glaube morgen werde ich dem lokalen Geldinstitut mal einen Besuch abstatten um den Damen und Herren dort meinen Kontostand zu zeigen - mal schauen was sich da so machen lässt.

Samstag, 18. April 2009

°9 __ Fünf Schwestern - Fünf Länder ...

Seit einigen Tagen bin ich im Norden Israels unterwegs. Der größte Teil der Menschen hier ist arabischen Ursprungs. Die meisten dieser Menschen leben in arabischen Gemeinden, getrennt von der jüdischen Mehrheit im Land. Offiziell heißen sie ‚Arabische Bürger Israels’. Mein Gegenüber zuckt bei dieser Bezeichnung verächtlich mit den Schultern: „Ich bin Palästinenser“, sagt er stolz. „Palästinenser in Israel“, ergänzt er etwas leiser.

Die so genannten „Arabischen Bürger“ machen heute ungefähr zwanzig Prozent der Bevölkerung Israels aus. Die meisten von ihnen bezeichnen sich selbst zwar als Staatsbürger Israels, ihre Nationalität sei aber, so sagen sie, "ohne Frage palästinensisch", ihre Kultur arabisch. Traditionell und kulturell fühlen sie sich den arabischen Gesellschaften der Region zugehörig.

Am 14. Mai jährt sich der israelische Unabhängigkeitstag zum 61. Mal. Die Israelische Mehrheitsgesellschaft feiert diesen Tag (wegen des hebräischen Kalenders) in diesem Jahr bereits am 29. April. Gefeiert wird die ‚Unabhängigkeit’ Israels. Auch die Palästinenser und die „Arabischen Israelis“ erinnern jedes Jahr an die Ereignisse des Jahres 1948. Allerdings erinnern sie nicht an die „israelische Unabhängigkeit" sondern vielmehr an den, damit einhergehenden, palästinensischen Exodus. Sie nennen dieses Ereignis Nakba – die Katastrophe.

Es wird geschätzt, dass vor dem Krieg von 1948 ungefähr 950,000 Palästinenser auf dem Gebiet des heutigen Israels lebten. Über 80 Prozent flüchteten während des Krieges oder wurden vertrieben. Weniger als 160.000 Palästinenser verblieben.

„Meine Familie kommt ursprünglich hier aus Nazareth“, erzählt mir ein älterer Herr. „Meine Muter verstarb hier im Ort. Sie hatte vier Schwestern.“ Eine von ihnen starb im Libanon, eine in Jordanien, eine in Syrien und die letzte in Dänemark. „Fünf Schwestern, fünf Länder“, sagt er und spreizt dabei die fünf Finger seiner linken Hand weit auseinander. Für die Familiengeschichte seines Vaters reichen die Finger an seiner Hand nicht aus.

Jeder Palästinenser in Israel kann eine ähnliche Geschichte erzählen. Fast alle haben Verwandte oder Bekannte, die heute noch in Flüchtlingslagern leben, teilweise bereits in der dritten und vierten Generation. Ihre Eltern oder Großeltern waren 1948 geflohen oder vertrieben worden. Die heutigen Flüchtlingslager befinden sich in den Palästinensischen Gebieten (Westjordanland und Gaza Streifen) sowie in den angrenzenden arabischen Staaten (Jordanien, Syrien und Libanon). Einige leben heute in Palästinensischen Städten wie Ramallah oder Gaza Stadt, andere leben in Europa oder anderswo in der Welt.

Die Anzahl von Menschen mit Palästinensischen Wurzeln wird weltweit auf über 10 Millionen geschätzt. Viele Menschen mit denen ich hier spreche, bestehen darauf, dass diese Menschen ein Recht haben zurückzukehren. Zurück in ihre Heimat. Zurück nach Palästina. Israel erkennt dieses Recht auf Rückkehr nicht an.

In Israel leben heute ungefähr 5,5 Millionen Juden. Wenn auch nur die Hälfte der Palästinensischen Diaspora zurückkehren würde, wäre dies das Ende der jüdischen Mehrheit in Israel - das Ende der zionistischen Idee.

... und ein Zahnarzt ohne Pass

In einem Cafè in der nordisraelischen Küstenstadt Haifa zeigt mir ein junger Zahnarzt seinen israelischen Ausweis. In dem Feld in dem eigentlich seine Nationalität stehen sollte, klafft eine Lücke. „Ich habe nur diesen Ausweis, sagt er, „Einen Pass habe ich nicht, eine Nationalität auch nicht.“ Unter Geburtsort steht in seinem Ausweis ein Ort in den Golan Höhen.

"Meine Familie ist syrisch," erzklärt der Doktor. "Meine Großeltern sind gebürtige Syrer, meine Eltern sind gebürtige Syrer - heute haben wir alle keine Staatsbürgerschaft mehr."

Bis 1967 gehörten die Golan Höhen zu Syrien. Im Israelisch-Arabischen Krieg von 1967 besetzte Israel das strategisch wichtige Gebiet. Heute sehen viele Israelis die Golan-Höhen als einen Teil ihres Landes an. Sie kommen häufig her, um dem heißen Sommer zu entkommen und die Natur zu genießen - Golan ist ein beliebtes Ausflugsziel geworden. Auch die israelische Siedlerbewegung hat die Golan Höhen für sich entdeckt. Über 18.000 Siedler haben sich hier niedergelassen.

19.000 Syrer leben heute noch auf dem Gebiet der Golan Höhen. Auch diese Menschen werden zur arabischen Minderheit in Israel gezählt. Fast alle von ihnen lehnen es allerdings ab die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. "Wer das tut, der gilt bei uns als Verräter", erzählt der junge Dokor. Wie allen anderen israelischen Bürgern ist es dauch der syrischen Bevölkerung der Golan Höhen verboten nach Syrien zu reisen. Israel und Syrien befinden sich offiziell im Krieg.

„Wir können eine Sondergenehmigung bekommen um in Syrien zu studieren“ erzählt mir der Zahnarzt. „Ich zum Beispiel habe in Damaskus studiert“, sagt er. Direkt nach dem Ende des Studiums musste er dann aber wieder zurück nach Israel. "Sonst hätte ich in Syrien bleiben müssen und hätte dann meine Eltern nicht mehr sehen können.“ Dafür ist es ihm von nun an unmöglich seinen alten Studienort Damaskus zu besuchen und seine Freunde und Familie dort zu sehen.

Jedes Jahr im Frühjahr gibt es an der Syrisch-Israelischen Grenze ein besonderes Spektakel, erzählt mir der junge Doktor. Es ist der syrische Muttertag. Auf der einen Seite stehen dann die Mütter, auf der anderen ihre Töchter und Söhne. Auf beiden Seiten wird die Syrische Nationalhymne gesungen. Es werden Liebesgrüße ausgetauscht.

An einem milden Abend sitze ich mit dem Zahnarzt und seinen Freunden beisammen. Wir trinken israelischen Rotwein, europäisches Bier und arabischen Anis-Schnaps. Die kleine Gruppe arbeitet zum großen Teil in den Medien: Junge arabische Journalisten, Film-Produzenten und Schauspieler. Der Doktor spielt auf der Oud, der orientalischen Laute. Er singt traditionelle arabische Lieder. Die jungen Menschen lauschen andächtig. Wir sitzen in einer schönen, alten Wohnung in Haifa. In diesem Haus hat schon der bekannte palästinensische Dichter Mahmoud Darwish gelebt.

Von der Terrasse hat man einen wunderschönen Blick über die Bucht von Haifa. Haifa ist heute eine gemischte Stadt, hier leben Araber und Juden Seite an Seite. Offiziell wird Haifa als ein Beispiel für das friedliche Zusammenleben gepriesen. Wenn man aber mit den Leuten vor Ort spricht, spürt man die Spannungen.

Auch in Haifa wir bald die israelische Unabhängigkeit gefeiert. „Der Tag der Befreiung Haifas“ heißt dieser Tag in Israel. Für die arabischen Bürger der Stadt heißt dieser Tag: „Der Tag der Niederlage“. Die meisten arabischen Bewohner Haifas wurde an diesem Tag vertrieben. Die meisten konnten nie zurückkehren. Ihre Familien sind heute Teil der palästinensischen Diaspora.

Kaffee über den Dächern von Haifa

Die Gassen von Nazareth

Samstag, 11. April 2009

°8 __ Der Pate von Nazareth

Das heutige Nazareth hat nur wenig mit meiner Vorstellung aus dem Konfirmationsunterricht zu tun. Nazareth heute, ist ein buntes Treiben aus Menschen, kleinen Schmuckläden, farbenfrohen Tüchern, kleinen Falafel-Läden und Autos, immer wieder Autos. Nazareths Altstadt besteht aus einem Gewirr enger Gassen voller kleiner Geschäfte. Durch die teilweise überdachten Gassen der Innenstadt scheint stets der Geruch von frisch gebrühtem arabischen Kaffee zu ziehen.

Aus der Altstadt heraus führen steile Straßen in die angrenzenden Wohngebiete hinauf oder herab. Die Straßen sind dicht beparkt. Stoßstange an Stoßstange reihen sich die Autos. Der eine oder andere Außenspiegel musste in den engen Straßen sicher schon dran glauben. „Aus Nazareth kommen die besten Autofahrer der Welt“, versichert mir ein Bekannter, während er sein Auto einhändig durch die engen Straßen manövriert. Er hat in Nazareth laufen und fahren gelernt. Beim zurücksetzen streift er mit dem Außenspiegel eine Mauer. „Das passiert mir zum ersten mal“, versichert er mir.

Nazareth ist heute die größte arabische Stadt innerhalb Israels - ungefähr 65.500 Menschen leben hier, die Mehrheit ist muslimisch. Ein Drittel der Bevölkerung sind Christen.

Ich betrete ein altes arabisches Haus, das heute ein Restaurant beherbergt. Die Mauern sind aus dickem Stein. Es ist angenehm kühl. Wuchtige dunkle Holztische stehen im Raum verteilt. An den Wänden hängen Bilder mit christlichen Motiven. Die hoch gewölbte Decke erinnert an eine kleine Kirche. Aus den Lautsprechern erklingen gedämpft sakrale Gesänge. Ich besuche diesen Ort heute zum zweiten Mal. Die Atmosphäre gefällt mir. Vor allem gibt es hier aber eine Internetverbindung für meinen Laptop.

Als ich das Lokal betrete sitzen zwei junge Männer an einem Tisch in der Ecke. Sie begrüßen mich und bitten mich zu sich an ihren Tisch. Ich setze mich zu ihnen und bestelle bei der Bedienung ein Bier. Meine beiden ‚neuen Freunde’ wirken angetrunken. Sie sprechen nur sehr wenig Englisch. Einer trägt einen Gipsarm, mit dem er beim Sprechen wild gestikuliert. Als die Bedienung mit meinem Bier an den Tisch kommt beugt sie sich zu mir herunter.

Sie spricht leise, so dass die zwei Männer nicht mithören können. „Ich hätte es lieber, wenn Sie sich an einen anderen Tisch setzen“, sagt sie. Ich bleibe einen Moment sitzen und trinke einen Schluck von meinem Bier. Nach ein paar Minuten stehe ich auf und bitte die beiden Herren mich zu entschuldigen. Ich setze mich an einen Tisch vor der Bar. Als ich Platz nehme prosten mir die beiden aus ihrer Ecke heraus zu. Der Gipsarm winkt. Ich nicke den beiden zu, schalte meinen Computer ein und beginne zu schreiben.

Nach einer Weile stehe ich auf, um zur Toilette zu gehen. Meinen Laptop lasse ich in Sichtweite der Bedienung auf dem Tisch stehen. Als ich nach kurzer Zeit zu meinem Tisch zurückkehre bemerke ich sofort, dass mein Laptop nicht mehr auf dem Tisch steht.

„Wo ist mein Computer?“ frage ich die Bedienung. Ich schaue in die Ecke, in der eben noch die beiden Männer gesessen hatten. Sie sind verschwunden. Ich laufe aus dem Lokal. Ich renne die Straße herunter – erst in die eine, dann in die andere Richtung. Keine Spur von dem Gipsarm und seinem Freund. Keine Spur von meinem Computer.

Als ich in das Restaurant zurückkehre steht die gesamte Belegschaft in einer Gruppe zusammen. Alle reden wild durcheinander. Die Bedienung bietet an, mich zur Polizeistation zu begleiten. Wir machen uns auf den Weg. „Scheiße, Scheiße, Scheiße“, murmel ich vor mich hin. "Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein? Den Laptop werde ich wahrscheinlich nie wieder sehen", denke ich. Der Computer war nagelneu, ich hatte ihn erst vor wenigen Wochen gekauft.

Auf dem Weg zur Polizeistation macht meine Begleitung eine Reihe von Anrufen. Als wir nach einem kurzen Fußmarsch in der Polizeistation ankommen, müssen wir zunächst in einem Warteraum Platz nehmen. Unruhig geht meine Begleitung auf und ab. Sie macht noch mehr Anrufe. „Ich habe einige Leute kontaktiert“, sagt sie schließlich. „Wenn die Polizei deinen Computer nicht findet, diese Leute finden ihn bestimmt.“ Sie senkt ihre Stimme. Leise fügt sie noch ein weiteres Wort hinzu: „Mafia“, flüstert sie verschwörerisch und fährt fort zu telefonieren.

Noch bevor wir von einem der Polizisten herein gebeten werden können, tritt ein Mann in den Warteraum. Er ist mittleren Alters und gut gekleidet. Er hält sein Telefon in der Hand. Auf seiner Stirn glitzern Schweißperlen. „Gott sei Dank“, sagt er als er eintritt, „Gott sei Dank habt ihr noch nicht mit der Polizei gesprochen.“ Meine Begeleitung ist sichtlich erleichtert ihn zu sehen. Mit festem Druck schüttelt er meine Hand und schiebt mich aus der Polizeistation. „Keine Sorge“, sagt er, „Wir finden deinen Computer." "Ich versichere Dir, Du wirst ihn noch heute Abend wieder in deinen Händen halten. Du hast mein Ehrenwort" sagt er mit tiefer Stimme.

Zu dritt machen wir uns auf den Weg zurück zum Restaurant. Auf dem Weg dorthin klingelt das Telefon des Herrn mit dem festen Händedruck. Ich erkenne die Melodie des Klingeltons sofort: Es ist die berühmte Titelmelodie des Mafiafilms ‚Der Pate’.

„Bestell was du möchtest“, sagt ‚der Pate’ als wir im Restaurant ankommen. „Geht auf’s Haus - das Restaurant gehört meinem Cousin.“ Wir setzen uns an den Tisch, an dem ich meinen Computer zum letzten Mal gesehen hatte. Ich bestelle etwas zu trinken. Aus den Lautsprechern erklingen die sakralen Gesänge. Mir ist als sei es in der Zwischenzeit noch ein wenig kühler geworden.

Vorsichtig frage ich meinen Gegenüber was er so mache, hier in Nazareth.
„Ich bin Fotograf“, antwortet er.
„Fotograf?“ frage ich erstaunt.
„Hochzeitsfotos“, sagt er. „Ich bin der beste Hochzeitsfotograf hier in Nazareth. Ich kenne jeden hier in dieser Stadt und jeder kennt mich. Ich habe sehr gute Beziehungen zu allen großen Familien.“

Während unserer Unterhaltung klingelt mehrmals sein Telefon. Der Klingelton ist ein anderer als zuvor. Erst nach zwei Stunden, vier Bier und einer herzlichen Unterhaltung, erklingt wieder die vertraute Melodie.

„Dein Laptop ist auf dem Weg“, sagt der Hochzeitsfotograf nachdem er aufgelegt hat und zwinkert mir zu.

Donnerstag, 9. April 2009

°7 __Von der Schule ins Gefängnis

„Ende des Jahres werde ich ins Gefängnis gehen“, erzählt mir eine junge Israelin, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr Name ist Neta. Ich treffe sie in einem Café in der nordisraelischen Stadt Haifa. Sie möchte mir von ihrem Kampf erzählen, ihrem Kampf mit der israelischen Gesellschaft. Neta ist gerade mal 17 Jahre alt. In diesem Jahr macht sie ihren Schulabschluss.

Neta ist Mitglied in einer kleinen Gruppe israelischer Schüler, die sich entschlossen haben den Militärdienst zu verweigern.

In Israel sind alle Staatsbürger dazu verpflichtet nach der Schule den Militärdienst zu leisten: Männer für drei Jahre - Frauen für zwei. Verweigerung ist nicht vorgesehen. Nur zwei Gruppen sind vom Militärdienst ausgenommen. Palästinenser, die in den heutigen Grenzen Israels leben und die ultra-religiösen Juden. Verweigerer, die nicht zu einer dieser beiden Gruppen gehören, müssen mit einer Gefängnisstrafe rechnen.

Neta erzählt, es gebe auch andere Wege den Militärdienst zu umgehen. Man müsse nicht verweigern. „Die meisten, die nicht zum Militär wollen lassen sich krankschreiben." Aus "psychologischen Gründen" werden sie dann vom Militärdienst freigesprochen." Wer „bei klarem Verstand“ ist und trotzdem verweigert lande im Gefängnis, erklärt sie. „Normalerweise geht man für ein paar Wochen ins Gefängnis. Dann wird man wieder entlassen, dann muss man wieder rein. Das geht immer so weiter, bis sie dich entweder laufen lassen, oder bis du dich offiziell für verrückt erklären lässt.“ Wenn man es darauf ankommen lässt, könne man bis zu zwei Jahre im Militärgefängnis sitzen. „Danach gibt es eine Gerichtsverhandlung. Am Ende kann das bis zu zehn Jahre im Gefängnis bedeuten.“

Neta hat sich bewusst für die Verweigerung und für einen Gefängnisaufenthalt entschieden. Sie wolle damit ein Zeichen setzen, erklärt sie. „Die Medien sind interessiert an Menschen die verweigern.“

Neta erzählt von ihrer Bewegung der jungen Verweigerer. „Shministim“ werden sie genannt, „die Zwölftklässler“. Die Zwölftklässler sind israelische Schüler, die sich ihrem letzten Schuljahr öffentlich gegen den Militärdienst stellen. “Wir verweigern aus politischen Gründen” erzählt mir Neta. Sie seien gegen die Besatzung der palästinensischen Gebiete und gegen die Militarisierung der israelischen Gesellschaft.

Netas Freundin ist ebenfalls Teil der Zwölftklässler. Sie erzählt, sie wolle anderen Menschen zeigen, dass es auch in Israel die Option gebe nicht zur Armee zu gehen. „Ich möchte meiner Familie und meinen Freunden zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist zur Armee zu gehen und ich möchte der palästinensischen Seite zeigen, dass es Menschen gibt, welche die israelische Armee ablehnen.“

Es sei schwer gewesen sich gegen die Armee zu entscheiden, erzählen beide. „Es ist sehr schwer für meine Familie zu akzeptieren, dass ich nicht zum Militär gehe“, erzählt Neta. „Besonders für meine Eltern. Sie denken ich sei eine Schande für die Familie. Ich glaube meine Mutter wird es irgendwann verstehen.“ Neta stockt für einen Moment. „Ich weiß nicht, inwieweit ihr bewusst ist, dass ich tatsächlich ins Gefängnis gehen werde. Ich glaube, sie verdrängt es.“

Netas Freundin ergänzt: „Meine Familie weiß erst seit kurzem, dass ich verweigern werde. Beide, mein Vater und meine Mutter waren in Kampfeinheiten. Sie sind beide sehr patriotisch. Sie versuchen immer wieder mich davon zu überzeugen, dass ich gehen sollte. Sie sagen: Ich würde schon einen Job beim Militär finden, mit dem ich ein verstanden sei. Aber es gibt nichts beim Militär mit dem ich einverstanden bin.“

In der Schule bringen sie uns von klein auf bei, dass wir zur Armee gehen sollten, erzählen die beiden Mädchen. „Sie sagen uns das immer und immer wieder. Besonders während der zwölften Klasse. Wir besuchen Militärbasen. Es ist schwer überhaupt daran zu denken nicht zum Militär zu gehen. Es sitzt tief in unseren Köpfen.“ Netas Freundin sagt:„Überall wo man hinschaut stehen Soldaten. Es gibt Werbespots mit Soldaten. Jeder zweite Song der im Radio läuft handelt von der Armee oder vom Krieg oder etwas ähnlichem. Alles um uns herum hat einen Bezug zur Armee. Alles hier ist mit dem Militär verbunden.“

Netas Freundin erzählt von ihrer ersten Demonstration im Westjordanland. Sie war dort um an der Seite von Palästinensern zu demonstrieren, gegen die Sperrmauer, die das Westjordanland von Israel abschneidet. „Ein Soldat richtete seine Waffe gegen mich“, erzählt sie. „Er schoss in meine Richtung. Ich war schockiert. Es war sehr schwer für mich zu verstehen, dass ein israelischer Soldat so etwas tut. Er schoss auf Zivilisten. Und sie tun das ständig, die israelischen Soldaten. Normalerweise mit Tränengas und Gummigeschossen. Aber manchmal auch mit scharfer Munition.“ - „Das war wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Danach beginnst du zu zweifeln.“

Nicht nur die Besatzung sei das Problem, erklären die Beiden. Wenn ein Land sich entscheide gewaltsam vorzugehen, dann durchziehe die Gewalt irgendwann alle Bereiche der Gesellschaft. Die Besatzung der palästinensischen Gebiete und die israelischen Kriege, der Libanonkrieg , der Gazakrieg, seien Teil des gleichen Problems. „Vor ein paar Monaten hatten wir die Möglichkeit uns gegen das Töten von über Tausend Zivilisten zu entscheiden. Aber weil wir Israel sind und weil Israel immer auf militärische Lösungen vertraut, haben wir uns anders entschieden und eine Menge Menschen getötet.“

Neta erzählt: „Ich glaube das Militär schadet sowohl den Juden als auch den Arabern.“ Es sei für jeden offensichtlich, dass es den Arabern schade, aber es schade auch der jüdischen Gesellschaft. „Die Besatzung und die schrecklichen Dinge die hier passieren sind der Grund warum einige Menschen sich entscheiden zu Terroristen zu werden.“ Sie überlegt einen Moment. Nach einer kurzen Pause fährt sie fort. „Ich weiß, dass ich verweigern muss. Nicht nur für mich, sondern für meine Freunde für meine Familie und für Jeden in diesem Land.“

Neta geht im Dezember ins Gefängnis ihre Freundin im September. Sie sind 17 und 18 Jahre alt.

Haifa


Sonntag, 5. April 2009

°6 __Sabbat

Von Freitagabend, kurz nach Sonnenuntergang, bis zum späten Samstagnachmittag hält das Leben in Israel für eine Weile inne. Am Freitagabend kommen die gläubigen jüdischen Familien zusammen um gemeinsam den Beginn des Sabbats zu feiern. In religiösen Stadtvierteln werden die Straßen gesperrt. Im größten Teil des Landes stehen die Busse still.

An diesem Freitagabend bin ich bei einer jüdischen Familie eingeladen, um das allwöchentliche Sabbat-Mahl mit ihnen zu teilen. „Jede Familie hat ihre eigene Art den Abend des Sabbat zu begehen“ erzählt mir einer der drei Söhne der Familie. „Je nach Herkunft und Familientraditionen variieren die Sabbat-Bräuche.“ Die Familie ist jemenitischen Ursprungs. Sie lebt in einer Siedlung außerhalb Tel-Avivs.

Im landestypischen halsbrecherischen Fahrstil werden wir zu ihrem Haus chauffiert. Wir sind spät dran. Das Sabbat-Mahl beginnt in der Regel eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang. Es ist bereits seit über einer Stunde dunkel als wir schließlich in der jüdischen Siedlung ankommen. Im Laufschritt legen wir die letzten Meter zum Haus zurück. Als ich gemeinsam mit einer deutschen Reisenden und dem ältesten Sohn der Familie eintrete, sitzt der Rest der Familie bereits am gedeckten Tisch. Mir wird eine jüdische Kopfbedeckung, die Kippa, gereicht, welche ich mir auf den Hinterkopf setze. Wir setzen uns. Der Vater rezitiert minutenlang Texte in altem Hebräisch. Nach einer Weile bricht er schließlich das Brot und reicht es weiter. Die Stimmung am Tisch ist entspannt. Während der Vater spricht wird gescherzt und gelacht. Ich fühle mich willkommen in der Runde.

Das Abendessen schmeckt hervorragend. Wir unterhalten uns eifrig während des Essens. Das Gespräch ist angenehm und ich habe das Gefühl, dass ich herzlich aufgenommen werde.

Die Familie ist eine Militärfamilie. Der Vater und alle drei Söhne haben bereits in mehreren israelischen Kriegen gekämpft. „Wir sind eine ganz normale israelische Familie“ erzählt mir einer der drei Söhne später. „Jeder in diesem Land war beim Militär. Jeder war in einem Krieg.“

Die Kommunikation mit den Eltern ist nicht ganz einfach. Sie sprechen kaum Englisch. Ich unterhalte mich mit den Söhnen. Die jüngere Generation in Israel spricht, zum großen Teil, fließend Englisch. Der jüngste der drei Brüder ist in meinem Alter. Er sei bereits seit Jahren beim Militär, erzählt er. Trotz seines jungen Alters ist er bereits ein Offizier in der Israelischen Armee. „Ungefähr einhundert Soldaten hören auf mein Kommando“, erzählt er mir, ohne Stolz, fast ein wenig schüchtern. Er ist ein ruhiger junger Mann mit einem offenen, interessierten Blick. Er hat eine angenehme, zurückhaltende Art und ein höfliches Lächeln.

Sein Einsatzgebiet ist das südliche Israel. Er war Teil der jüngsten israelischen Offensive im Gaza Streifen. Nur wenige Tage nach Beginn des Gaza-Krieges war er verwundet worden. Seitdem ist er beurlaubt. Während der Unterhaltung fragt er mehrmals nach, weil er etwas nicht verstanden hat. Er entschuldigt sich: Seit dem Krieg höre er auf einem Ohr etwas schlecht, sagt er. Bis vor einigen Tagen konnte er sich nur mit Gehhilfen fortbewegen.

Ich frage ihn, wie es zu der Verletzung kam. Er erzählt, dass er gemeinsam mit weiteren israelischen Soldaten Stellung in einem palästinensischen Haus bezogen hatte als sie beschossen wurden. Ein Geschoss explodierte in seiner unmittelbaren Nähe. Zwei seiner Kameraden starben bei der Attacke. Er wurde schwer verwundet.

Israelische Soldaten hatten auf das Haus gefeuert. Die „intelligenten“ israelischen Waffen, welche angeblich so gut zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden können, hatten die eigenen Leute getroffen. „Friendly Fire“ heißt dies beim Militär.

Nicht einmal zwei Monate zuvor traf ich in Berlin eine Palästinenserin aus dem Gaza Streifen. Sie erzählte mir vom Schrecken des Krieges. Beinahe tägliche verfolgte ich im Dezember und Januar die Berichterstattung über den Gaza-Krieg. Ich sah die Toten, die Verwundeten, die Phosphorbomben. Vor nur zwei Tagen berichteten viele internationale Medien schließlich über die Vergehen einiger israelischer Soldaten im Krieg; über die unverhältnismäßige Gewalt und über das Töten von Zivilisten.

Zum Abschied schüttele ich Hände. Ich blicke in die freundlichen Augen des jüngsten Sohnes. „Wir sind eine ganz normale israelische Familie“ hatte sein Bruder mir erklärt.“ „Jeder hier war beim Militär. Jeder war in einem Krieg.“

Nachtrag

Ich habe eine Weile überlegt, ob ich diesen Beitrag tatsächlich schreiben soll. Ich war bei einer Familie eingeladen. Sie haben mit mir ihr Essen geteilt und mich an ihren religiösen Feierlichkeiten teilhaben lassen. Ich habe ihnen nie ausdrücklich gesagt, dass ich über sie schreiben würde. Sie konnten zu meiner Darstellung auch keine Stellung beziehen. In keiner Weise wollte ich diese spezielle Familie direkt mit Kriegsverbrechen in Verbindung bringen.
Mein Ziel war es aber, einen Eindruck zu vermitteln, von den Gegensätzen, denen ich in diesem Land täglich begegne und vor allem von der allgegenwärtigen Militarisierung der Gesellschaft.

Der jüngste Sohn hat nur wenige Tage in Gaza gekämpft und war nur kurz am Kampfgeschehen beteiligt.


Blick von Jaffa nach Tel-Aviv

Donnerstag, 2. April 2009

°5 __Strandleben, Falafelbars und M16-Gewehre

Tel Aviv hat einen langen Sandstrand. Jugendliche sitzen hier am Nachmittag in kleinen Gruppen zusammen. Rucksack-Touristen trinken in der Sonne ihr Bier. Junge Menschen spielen am Strand Fußball oder Beachball - das Spiel mit den zwei Holzschlägern und dem bunten Plastikball. Großfamilien essen gemeinsam auf bunten Decken. Pärchen sitzen auf den Felsblöcken und halten Händchen.

Als ich die Strandpromenade entlang laufe baut gerade ein junger Mann in Uniform gemeinsam mit seiner weiblichen Begleitung eine Sandburg. Sie lachen. Nicht weit davon entfernt, sitzen drei junge Männer im Kreis. Einer hat seine Militärstiefel ausgezogen und seine Uniform aufgeknöpft. Er lauscht dem Gitarrenspiel seines Freundes, dessen lange Rasta-Locken unter einer bunten Mütze hervor quellen. Die Sonne scheint. Am Himmel ist keine Wolke zu sehen. Man hört die Wellen und das regelmäßige Klacken der bunten Bälle auf den Holzschlägern. Leise klingt Gitarrenspiel herüber. Ein Holländischer Rucksacktourist erzählt mir, Israel sei sein „absolutes Lieblingsland.“

Am Abend sitze ich mit israelischen Bekannten vor einem Falafel-Lokal. Es ist ein milder Abend. Die Tische vor dem Lokal sind gut gefüllt. Es duftet nach Essen. Um mich herum sitzen Menschen aller Hautfarben. Osteuropäer, Nordafrikaner, Westeuropäer, Menschen aus den arabischen Ländern, Asiaten, alles scheint hier vertreten zu sein. Wortfetzen dringen an mein Ohr. Laute und leise Stimmen, hohe und tiefe. Die kunterbunte Menschensammlung spricht in einer gemeinsamen Sprache: Hebräisch. Wiederbelebt im frühen 20. Jahrhundert, als Nationalsprache für das neue/alte Heimatland der Juden. Heute wird vor den Tel-Aviver Falafel-Lokalen auf Hebräisch geklönt, geklatscht und diskutiert.

Wenn man am Strand von Tel-Aviv spazieren geht oder abends vor einem der zahlreichen Cafés und Restaurants sitzt, bekommt man einen kleinen Eindruck davon, was dieses Land wohl für viele Juden bedeuten muss. Israel: Die Heimat für das Volk ohne Land. Der sichere Zufluchtsort für die verfolgten Juden aus aller Welt. Die Heimat der Vertriebenen. Menschen aus aller Welt leben friedlich nebeneinander.

Nur eine gute Autostunde von Tel-Aviv entfernt leben Menschen auf einem kleinen Fleckchen Land. Die meisten von ihnen können nicht verreisen. Die Grenzen sind geschlossen. Vor wenigen Monaten rollten Panzer in diesen kleinen Landstreifen. Wochenlang gab es Luftangriffe. Israelische Soldaten mit M-16 Gewehren schossen scharf. Häuser wurden dem Erdboden gleich gemacht. Phosphorbomben fielen vom Himmel. Die Grenzen blieben geschlossen. Weit über Tausend Menschen starben im Gaza-Krieg - tausende wurden verletzt.

Ein großer Teil der Menschen im Gaza-Streifen lebt in Flüchtlingslagern. Viele bereits in zweiter oder dritter Generation. Vor 60 Jahren mussten sie Platz machen - Platz für den neuen jüdischen Staat - geflüchtet vor dem Krieg, vertrieben aus ihrer Heimat.

Vom Falafel Lokal aus blicke ich über die Straße. Auf der anderen Seite geht eine Gruppe junger Soldaten vorbei. Ihre Lederstiefel sind poliert. Über der Schulter tragen sie ihre Kampfgewehre. Ein schwarzes Monstrum, das auf den schmächtigen Schultern der Jungsoldaten noch monströser wirkt. Einer der Soldaten kommt im Laufschritte herüber. Er bestellt sich einen Falafel. Er scherzt mit dem palästinensischen Verkäufer. Von seiner Schulter baumelt das Gewehr.

Sonntag, 29. März 2009

°4 __Märtyrer

Eine Bombe in einem Hotel in Jerusalem. Ein Anschlag. Mindestens einundneunzig Tote. Eine terroristische Gruppe erklärt sich verantwortlich. Selber nennen sie sich Freiheitskämpfer. Sie kämpfen gegen das Besatzungsregime das ihre „Heimat“ besetzt hält. Nach eigenen Worten kämpfen sie für die „Unabhängigkeit“ und gegen die Besatzer. Eine ganze Liste terroristischer Anschläge geht auf ihr Konto. Einige der Attentäter werden bei dem Anschlag getötet. Einige der Drahtzieher werden später festgenommen.

In einem alten arabischen Haus gibt es eine Ausstellung. Hier werden die Attentäter als Helden verehrt. Fotos sind ausgestellt. Ein Film wird gezeigt. Im Film werden die Namen der getöteten Attentäter einzeln verlesen - begleitet von trauriger Klaviermusik. Auf der Leinwand erscheinen ihre Fotos. Am Bildrand ist eine Kerze zu sehen, die langsam herunterbrennt. Der Sprecher im Film hat einen Namen für diese Männer er nennt sie: „Märtyrer.“

Der Name der Organisation, die hier geehrt wird lautet nicht Hamas oder Hisbollah sondern „Irgun“, von Israelis auch „Etzel“ genannt.

Die Irgun war eine Gruppe jüdischer „Untergrundkämpfer“, die in den Jahren 1931 – 1948 eine ganze Reihe von terroristischen Anschlägen verübte. Sie wehrte sich gewaltsam gegen die damalige britische Besatzung Palästinas. Sie griffen auch arabische Kämpfer und Zivilisten an und beteiligten sich maßgeblich an der Vertreibung der Palästinenser. Hunderte palästinensische Zivilisten fielen ihrem „Freiheitskampf“ zum Opfer. Die Irgun verübten unter anderem ein Massaker in dem arabischen Dorf Deir Yasin, bei dem über hundert palästinensischen Zivilisten getötet wurden. Im Krieg von 1948 kämpften sie an der Seite der israelischen Armee.

Am Strand von Tel-Aviv steht heute ein Museum, das diesen „Kämpfern“ gewidmet ist. Auf der Ruine eines zerstörten arabischen Hauses ist ein Ausstellungsraum entstanden. Hinter alten Steinmauern und modernen Glasscheiben wird hier der Kampf der Irgun zur „Befreiung der Stadt Jaffa“ gefeiert. Geehrt wird ihr Beitrag zur „Beseitigung der arabischen Bedrohung“ vor den Toren Tel-Avivs, so heißt es auf den Ausstellungstafeln. Auf blinkenden Informationstafeln lässt sich das damalige Kampfgeschehen nach verfolgen. Maschinengewehre und Geschütze sind ausgestellt. Die „Kämpfer“ von damals werden hier als Helden gefeiert.

Unterstützt wird das Museum der „Märtyrer“ vom israelischen Verteidigungsministerium.

Ich bin der einzige Besucher in dem kleinen Museum an diesem Vormittag. Alleine sitze ich in einem leeren Vorführungsraum und lausche der Ehrung der Märtyrer.

Hundert Meter weiter sitzen die Menschen in der Sonne vor den Strandcafés. Als ich Israelis auf das Museum anspreche antwortet man ausweichend. Nein, man sei noch nicht in dem Museum gewesen. Man wisse, dass es damals auch gewaltätige und "terroristische Gruppen" gegeben habe. Eine junge Frau korrigiert sich hastig und sagt: "Wenn ich terroristisch sage, dann meine ich nicht wirklich terorristisch. Also nicht terroristisch im heutigen Sinne." Sie stockt. Ich wisse schon was sie meine, sagt sie. Ich müsse verstehen, fährt sie schließlich fort, diese Gruppen seien wichtig gewesen für Israel. "Ohne diese Gruppen gäbe es den Staat Israel heute nicht." - Terror und Vertreibung als Geburtshilfe.

Das Eretz Musuem in Tel-Aviv-JaffaGewidmet der sog. "Befreiung" Jaffas
Die Ausstellung

Freitag, 27. März 2009

°3 __Shattered Glas

Ich lerne mehr über junge Israelis und die deutsche Sprache, das Goethe Institut und Pornofilme, Straßenmusik und zerbrochene Fensterscheiben.

Couch-Wechsel: Vom Zentrum Tel-Avivs mit seiner großen Shopping Mall, den Hochhäusern, der Bauhaus Architektur und seinen schicken Cafés und Bars ziehe ich nach Jaffa. Jaffa liegt südlich des Zentrums von Tel Aviv. Jaffa ist eine ehemals arabische Hafenstadt. Im Krieg von 1948 flüchtete ein Teil der arabischen Bevölkerung. Heute findet sich noch eine arabische Minderheit in der Stadt.

Meine neue Herberge ist mir im Internet als „crazy couch surfing house“ angepriesen worden. „Wir haben fast das ganze Jahr über Menschen aus aller Welt bei uns“, erklärt mir meine neue „Couchgeberin“ bei meiner Ankunft. Ein ausgebautes Ladengeschäft dient als Wohnung und gleichzeitig als Couch-Surfing-Herberge. Hinter einer modernen Fensterfront aus Milchglas verbirgt sich ein kunter-buntes Künstler-Loft. Die Wände sind dicht behängt mit Bildern und Zeichnungen. Alle sind selbst gemalt. Ständig kommen und gehen Menschen. Ich teile mir die Wohnung mit den zwei Gastgebern und drei weiteren Reisenden - drei jungen Deutschen auf Durchreise. Unsere Gastgeberin nennt uns die „deutsche Kolonie“.

Während ich mich mit meinen deutschen Ko-Kolonisten unterhalte lauscht unsere Gastgeberin dem Gespräch. Ich frage sie ob sie etwas versteht. „Weißt du woran junge Israelis denken, wenn Sie Deutsch hören? “fragt sie. Einen Moment später beantwortet sie die Frage selbst: „Pornofilme!“ sagt sie. Ich muss lachen, beinahe hätte ich meinen Kaffee quer durch das Loft geprustet. „Pornofilme?“ frage ich erstaunt. Sie lacht und erklärt, dass in den frühen Jahren des israelischen Kabelfernsehens , spät nachts häufig deutsche und schwedische Erotikfilme gezeigt wurden. Da Filme in Israel nicht synchronisiert werden, war das nächtliche Fernsehprogramm für viele junge Israelis der erste Kontakt mit der deutschen Sprache, außerhalb des Schulunterrichts. Ich frage mich, was das Goethe-Institut wohl dazu sagt.

Straßenmusik auf dem Künstlermarkt und ein lauter Knall

Tel-Aviv hat einen Künstlermarkt. Man findet Kunsthandwerk in allen Farben und Formen. Die kleinen Straßen vibrieren vor Leben. Vom Lebensmittelmarkt nebenan weht der Duft von Gewürzen und gebratenem Fleisch herüber.

An den Eingängen zum Markt steht Sicherheitspersonal und kontrolliert Taschen. Als ich eintrete führt die Polizei, unterstützt von schwer bewaffneten Soldaten, gerade einen Mann außer Sichtweite. Ich setze mich auf eine Bank in die Sonne. Zwei meiner neuen Mitbewohner verdienen sich auf dem Markt ein paar Schekel mit Straßenmusik. Sie singen auf Deutsch. Ich lehne mich zurück und höre zu. Plötzlich höre ich einen lauten Knall. Direkt hinter mit zersplittert Glas.


Ich drehe mich um. Auf dem Boden liegen Glasscherben verteilt. Die Fensterscheibe eines Geschäfts ist zersplittert. Schnell bildet sich ein Menschentraube. Die Menschen schauen besorgt. Für ein paar Minuten herrscht Verwirrung. In der Fensterscheibe steht ein Handwerker mit einem Hammer in der Hand. Er hatte versucht den Türrahmen zu richten und hat dabei versehentlich die Scheibe zerbrochen. Jemand ruft „Mazeltov“. Die Situation beruhigt sich. Die Leute gehen weiter.

Die ganze Zeit über spielen die beiden Straßenmusikanten weiter. Ich bleibe noch eine Weile sitzen und höre der Musik zu. Ich frage mich ob die Leute die vorbei gehen die deutsche Sprache erkennen. Ich blicke mich um und schaue in die gut gelaunten Gesichter der Zuhörer. Woran sie wohl denken?


Donnerstag, 26. März 2009

°2 __Another Day with Bibi

Mein zweiter Tag in Israel: Ich mache einen spontanen Ausflug nach Jerusalem, lerne den israelischen Straßenverkehr kennen, schmuggele mich in eine Pressekonferenz, treffe den Mann vom Poster und denke an fliegende Schuhe.

Morgens weckt mich das Neonlicht aus dem Flur. Ich habe gut geschlafen. Das Erste was ich sehe als ich die Augen öffne ist das überlebensgroße Gesicht des neuen israelischen Ministerpräsidenten - vom Plakat an der Wand starrt er mich an. Nur wenige Stunden später werde ich ihm in persona gegenüber stehen.

Mein Gastgeber hat gesten abend spontan angeboten mich heute auf eine Pressekonferenz mitzunehmen - eine Pressekonferenz von Benjamin Netanjahu. Die erste Pressekonferenz nach den Koalitionsverhandlungen zur neuen israelischen Regierung.

Ohne Frühstück steigen wir in ein ziemlich mitgenommenes, rostiges Auto. Die Beifahrertür muss ich aufstemmen, die Karosserie ist völlig verzogen. Ich schnalle mich an. Mein Gastgeber hat es eilig. Zwei Stunden dauert die Fahrt nach Jerusalem. Mein neuer israelischer Freund erklärt mir, dass man die Strecke an einem guten Tag in 50 Minuten schaffen kann. Es sei beinahe wie eine Fahrt auf der "Autobahn". Das Anschnallen war eine gute Idee, die israelischen Verkehrsteilnehmer haben einen „besonderen Fahrstil“. Besonders im Stadtverkehr scheint die Hupe öfter zum Einsatz zu kommen als die Bremse. Auch mein Begleiter fährt zeitweise mit einem Bein angezogen, vor das Armaturenbrett geklemmt. Er nimmt gerne zwei Spuren auf einmal und erzählt gerne und viel während wir uns durch den Verkehr Richtung Jerusalem schieben. Auf unserer Fahrt bekomme ich eine kurze Einführung in den Israel-Palästina Konflikt aus Sicht der Likud-Partei.

Nach knapp zwei Stunden Fahrt finde ich mich in einem noblen Hotel in Jerusalem wieder, "das zweitschönste Hotel Jerusalems", wie mir mein Gastgeber versichert. Beim Eintreten wird meine Tasche durchsucht. Wir treten in die Lobby und stehen plötzlich vor einer Dame, die uns nach unseren Namen fragt. Mein Begleiter flüstert mir noch schnell ins Ohr: "Sag Ihnen, du bist ein Journalist von einer deutschen Zeitung." Ich schreibe meinen Namen und den einer deutschen Regionalzeitung auf ein Stück Papier und hoffe, dass die Dame nicht weiter nachfragt. Nach einer erneuten Durchsuchung meines Gepäcks, lässt man mich in den Veranstaltungssaal. Maximal fünfzig Leute sind anwesend. Mindestens zehn Fernsehkameras sind auf die Bühne gerichtet. Ich atme tief durch, setze mich und versuche professionell zu wirken. Also hole ich mein Diktiergerät und meinen Laptop heraus. Einen Moment zögere ich bevor ich auch die kleine rosa-farbene Digitalkamera hervorkrame. (Danke Katrin)

Ein Blitzlichtgewitter geht los. Benjamin Netanjahu geht nur eine Handbreit entfernt an mir vorbei und setzt sich auf die Bühne. Für einen kurzen Moment denke ich an den Schuh-Schmeißer von Bagdad. Netanjahus Auftritt dauert keine zehn Minuten. Ich schaffe es nicht in der kurzen Zeit meine Kamera vernünftig einzustellen, stattdessen breche ich den Auslöser-Knopf ab. Meine potentielle Karriere als erfolgreicher Fotojournalist ist damit wohl an absolutem Unvermögen gescheitert. Um mich herum klicken die Kameras. Herr Netanjahu beginnt zu sprechen.

Bibi, wie er in Israel genannt wird, spricht von einer „starken und stabilen Regierung der nationalen Einheit“ mit der er drei Ziele erreichen möchte „Sicherheit, Wohlstand und Frieden.“ Alle drei Ziele seien „miteinander verflochten“. Es klingt wie Hohn in meinen Ohren, als der angehende Chef der israelischen Regierung fortfährt: Ein starkes und wichtiges „Fundament für den Frieden“ sei vor allem, „eine positive wirtschaftliche Entwicklung der palästinensischen Gebiete“, sagt er. Trotz der schönen Worte scheint die Israelische Regierung aber so ziemlich alles zu unternehmen, um tatsächliche ökonomische Entwicklung unmöglich zu machen: Besatzung, Sperrmauer, Blockade und Krieg in Gaza. Ich frage mich: Wenn wirtschaftliche Entwicklung ein „notwendiges Fundament“ ist, was macht das aus denjenigen, die dieses Fundament zerstören?

Sprengmeister Bibi reiht noch ein paar weitere Floskeln aneinander und so plötzlich wie er erschienen ist verschwindet er auch wieder.

Nach der Pressekonferenz blieb mir nur noch Zeit für einen Kurzbesuch Jerusalems. Eine beeindruckende Stadt, in der ich auf jeden Fall noch mehr Zeit verbringen werde. Auf der Rückfahrt nach Tel-Aviv habe ich erneut eine lange und interessante Unterhaltung mit meinem israelischen Gastgeber. Zurück in Tel-Aviv führt er mich dann in den, nach seiner Aussage, „besten Humus Laden des ganzen Landes!“

Als ich mich nach dem Essen schließlich wieder auf meine Couch setze um mein E-Mails zu schreiben, schaue ich wieder in das Gesicht auf dem Poster. Ich ziehe einen Schuh aus.