„Ich bin Palästinenser und Kommunist“, sagt der junge Mann gegenüber. Er hebt sein Bierglas und prostet mir zu. Wir sitzen in einer Bar in der nordisraelischen Stadt Haifa. Die Wände der Bar sind rot gestrichen. An einer Wand hängen Poster mit Hinweisen auf kulturelle und politische Veranstaltungen. Die Bar ist gut gefüllt. Hier trifft man Haifas Intellektuelle. Na, ja zumindest die Menschen, die sich selber für Intellektuelle halten, erklärt mein Gegenüber lachend und nimmt einen mächtigen Schluck aus seinem Bierglas. Die Bars und Cafés in Haifas Masada-Straße sind der Treffpunkt für die linke Szene der Stadt. "Oder für das, was von der linken Szene übrig geblieben ist“, fügt mein Gesprächspartner hinzu. Das ganze politische Spektrum in Israel sei nach rechts gerückt, weit nach rechts.
Mein Gesprächspartner studiert an der Universität von Haifa. Neben dem Studium ist er politisch aktiv. Er engagiert sich in der Partei Abnaa el-Balad (Die Söhne des Landes). „Wir treten ein für einen demokratischen säkularen Staat für alle Bürger dieses Landes“, erklärt der junge Student. „Wir fordern das Ende der israelischen Besatzung, die Möglichkeit der Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge und das Ende eines per Definition jüdischen Israels.“ Seine Partei boykottiert die Israelischen Parlamentswahlen und tritt nur auf lokaler Ebene zu Wahlen an.
Die Mitglieder der Partei der „Söhne und Töchter des Landes“ sind zum größten Teil Palästinenser, die heute innerhalb der Grenzen Israels leben. Nach dem „Unabhängigkeitskrieg“ von 1948 waren sie, ihre Eltern, oder Großeltern auf dem israelischen Gebiet verblieben. Daher werden sie heute auch Palästinenser von 1948 genannt. Neben den Palästinensern sind in der Partei auch einige jüdische Staatsbürger Israels organisiert. Sie verstehen sich selbst als „jüdische Palästinenser“.
„Wie kann ich für einen Staat Israel eintreten, der per Definition jüdisch ist?“ Fragt mich der junge Aktivist. „Dieser Staat beschneidet mich in meinen sozialen und kulturellen Rechten. Ich kann beispielsweise nicht in meiner Muttersprache studieren. An der Schule musste ich zionistische Texte lesen, palästinensische Dichter waren Tabu. Die politische Aktivität meiner Partei wird vom israelischen Staat beschränkt. Ich bekomme Probleme, wenn ich eine palästinensische Fahne bei mir habe. " Sagt er. Und überhaupt, wie könne ein Staat per Definition gleichzeitig jüdisch und demokratisch sein? Das sei genauso unmöglich wie islamisch und demokratisch oder christlich und demokratisch. Erst recht, wenn es eine nicht-jüdische Minderheit im Land gebe, die 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache.
Er möchte in einem säkularen, demokratischen Staat leben, erklärt er. Ein Staat mit dem er sich zumindest grundlegend identifizieren könne. Jeder der heute hier lebt und bleiben möchte, solle selbstverständlich bleiben dürfen. "Gleiche Rechte für alle." Vor allem dürfe der Staat aber keine religiöse oder ethnische Gruppe per Definition von der Staatsidentität ausschließen. Das Recht auf Rückkehr dürfe nicht für eine Gruppe gelten und für eine andere nicht. Das zentrale Problem sei die kolonialistische, zionistische Natur des Israelischen Staates, sagt er und bestellt eine neue Runde Bier.
Jasuf
Nur drei Wochen nach meinen Gesprächen in Haifas „Intellektuellen-Zirkeln“ bin ich zu Besuch in einem kleinen palästinensischen Dorf namens Jasuf. Luftlinie liegen Haifa und Jasuf nicht weit voneinander entfernt. Zwischen den beiden Orten steht die israelischen Sperrmauer, welche das Westjordanland von Israel abschneidet. Doch nicht nur die Sperrmauer trennt diese zwei Orte voneinander.
Vier Tage lebe ich in Jasuf, teile das Haus mit einer palästinensischen Familie. Nach Auskunft meiner Gastgeber zählt Jasuf ganze 2.000 Einwohner. Das Herz der Gemeinschaft bildet die örtliche Moschee. Jeden Freitag treffen sich hier die Männer des Dorfes zum Gebet. Die Frauen bleiben zu Hause. „Es wäre unvorstellbar, für mich mit einer Frau alleine durch das Dorf zu gehen; es sei denn sie ist aus meiner Familie“, erklärt mir mein Gastgeber. Er ist Ende zwanzig und studiert in Ramallah. Er lebt in Jasuf mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und seiner Schwester. „Die Religion ist hier wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens, “ sagt er.
An den Abenden sitze ich mit ihm und seinen männlichen Freunden zusammen. Die Wasserpfeife macht die Runde. Alkohol ist absolutes Tabu. Ich erzähle, dass ich in Ramallah palästinensisches Bier probiert habe und dass es mir gut geschmeckt hat. „Es gibt palästinensisches Bier?“ fragen meine neuen Bekannten erstaunt. Das wussten sie gar nicht, ergänzen sie.
Die abendlichen Unterhaltungen sind stets angeregt. Mein Gastgeber muss den Übersetzer spielen. Thema unserer Unterhaltungen ist meist die Religion. Man ist interessiert an meiner Weltsicht. Die jungen Männer unterhalten sich offen über alle Facetten der Religion. Tabus gibt es keine. Wir sprechen über Geschlechterrollen in verschiedenen Gesellschaften und den Einfluss von Tradition und Religion. Unsere Ansichten könnten in vielen Punkten wohl kaum weiter auseinander liegen. Als ich den Kampf von Schwulen und Lesben um Respekt und Anerkennung, mit dem Kampf der palästinensischen Minderheit in Israel vergleiche, erblicke ich allerdings eher verwirrte Gesichter um mich herum.
Der Islam sei eine Religion, die kritischen Diskurs fördere, erklärt man mir. Vor allem die Wissenschaften würden im Islam hoch geschätzt. Während die christliche Kirche Bücher wegschloss und Wissenschaftler hinrichten ließ, hätten muslimische Geistliche die Erkenntnisse der Wissenschaft stets hoch geschätzt. Die jungen Männer wissen gut bescheid über islamische Geschichte und sind stolz auf die Errungenschaften der arabischen Welt.
Der Großteil meiner neuen Freunde im Dorf sind Mitglieder der Fatah Partei. Die Fatah ist nach eigener Definition eine säkulare, nationalistische Partei. Religion sei für die Menschen in Jasuf zwar bestimmender Faktor der Identität, erklärt man mir. Trotzdem hätten islamistische Parteien wie die Hamas im Ort nur wenige Unterstützer. Zumindest öffentlich bekräftigt man stets die Unterstützung für die Fatah und den so genannten Friedensprozess mit Israel.
Das Dorf ist arm. Die Menschen leiden unter regelmäßigen Übergriffen von Siedlern, unter den israelischen Soldaten an den Checkpoints, unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Ein Ende des Konfliktes liegt hier im direkten alltäglichen Interesse der Menschen. Das Problem sei das mangelnde Interesse der Mächtigen an unseren Problemen, sagt mein Gastgeber. „Auf beiden Seiten.“
Nablus
„Hast du schon seine Hand geschüttelt?“ Fragt der Professor seine Studentin als wir gemeinsam in einem Cafè beieinander sitzen. Sie schüttelt den Kopf. Das Händeschütteln zwischen Männern und Frauen gehört in Nablus nicht zur alltäglichen Begrüßungszeremonie.
Der Professor scherzt: Für mich müsse die Studentin wohl eine Ausnahme machen, schließlich sei ich Deutscher und die seien weithin bekannt für besonders leidenschaftliches und ausführliches Händeschütteln. Die Studentin lacht und schüttelt meine Hand. Sie trägt Kopftuch und einen langen Mantel - trotz sommerlicher Temperaturen. Neben ihr sitzt ihr zukünftiger Ehemann. Vor einem Monat haben sie zum ersten Mal miteinander gesprochen. Letzte Woche hat er um ihre Hand angehalten.
Der Professor unterrichtet islamische Geschichte an der Universität von Nablus. Nablus ist die bevölkerungsreichste Stadt im Norden des Westjordanlandes. Man sieht hier wesentlich mehr Frauen mit Kopftüchern als in Ramallah. Weder in Geschäften noch Cafès gibt es Alkohol zu kaufen. „In letzter Zeit bekommen traditionalistische islamische Gruppen hier mehr und mehr Zulauf. Die wollen mir doch tatsächlich erzählen, wie ich meine Vorlesungen zu halten habe“, sagt der Professor für islamische Geschichte merklich verärgert. Er spricht fließend deutsch. Vor Jahren hat er in Deutschland promoviert.
Am Abend sitze ich mit dem Professor und seinen Freunden beisammen. Es gibt Unmengen an Essen. Auf dem Tisch stehen mehrere Flaschen mit hochprozentigem Alkohol. Regelmäßig trifft sich eine kleine Gruppe von Professoren zu solchen gemeinsamen Abendessen. Es wird diskutiert, gelacht, geraucht und reichlich getrunken. „Es gibt Menschen hier, denen solche Abende ein Dorn im Auge sind“, erzählt mir einer der Männer. „Deshalb hängen wir das auch nicht an die große Glocke.“
Es wird viel gescherzt an diesem Abend: „Warum hat Gott alle Propheten nur in dieses winzige Land geschickt? Und keinen einzigen beispielsweise nach Japan oder …Kanada?“ fragt einer. “Gott muss betrunken gewesen sein, “ scherzt ein anderer. „Darauf trinke ich!“ ruft ein weiterer.“ Einer der alten Herren ergreift eine Flasche Whisky und balanciert sie auf seinem Kopf. „Allah ist groß“, ruft er, während er mit der Flasche auf dem Kopf durch den Raum tanzt. Alle lachen.
Ein Jura-Professor erzählt mir, er sei gegen den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Er sei gegen die Intifada. "Intifada, Widerstand", er könne das nicht mehr hören. Sein Hemd spannt sich über einen gewaltigen Bauch. Er sitzt weit zurückgelehnt in seinem Sessel. In der einen Hand hält er ein Glas Whisky, in der anderen eine Zigarette. Die Aufstände seien schlecht fürs Geschäft, sagt er. Langsam und genüsslich lässt er den Rauch seiner Zigarette aus seinem Mund entweichen.
Der Jura-Professor sei in erster Linie Geschäftsmann, erklärt mein Freund der Islam-Profesor. Viele palästinensischen Geschäftsmänner und Arbeitgeber seien gegen diesen ganzen "Revolutionsquatsch". Sie seien in erster Linie an guten Geschäftsbeziehungen mit Israel interessiert.
Haifa, Jasuf, Nablus - wer mit den Menschen in Palästina spricht, bekommt einen kleinen Eindruck von der Vielfalt palästinensischer Perspektiven. Sie könnten kaum verschiedener sein. Was sie vereint, ist der Traum von einem Leben ohne Besatzung.
Mein Gesprächspartner studiert an der Universität von Haifa. Neben dem Studium ist er politisch aktiv. Er engagiert sich in der Partei Abnaa el-Balad (Die Söhne des Landes). „Wir treten ein für einen demokratischen säkularen Staat für alle Bürger dieses Landes“, erklärt der junge Student. „Wir fordern das Ende der israelischen Besatzung, die Möglichkeit der Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge und das Ende eines per Definition jüdischen Israels.“ Seine Partei boykottiert die Israelischen Parlamentswahlen und tritt nur auf lokaler Ebene zu Wahlen an.
Die Mitglieder der Partei der „Söhne und Töchter des Landes“ sind zum größten Teil Palästinenser, die heute innerhalb der Grenzen Israels leben. Nach dem „Unabhängigkeitskrieg“ von 1948 waren sie, ihre Eltern, oder Großeltern auf dem israelischen Gebiet verblieben. Daher werden sie heute auch Palästinenser von 1948 genannt. Neben den Palästinensern sind in der Partei auch einige jüdische Staatsbürger Israels organisiert. Sie verstehen sich selbst als „jüdische Palästinenser“.
„Wie kann ich für einen Staat Israel eintreten, der per Definition jüdisch ist?“ Fragt mich der junge Aktivist. „Dieser Staat beschneidet mich in meinen sozialen und kulturellen Rechten. Ich kann beispielsweise nicht in meiner Muttersprache studieren. An der Schule musste ich zionistische Texte lesen, palästinensische Dichter waren Tabu. Die politische Aktivität meiner Partei wird vom israelischen Staat beschränkt. Ich bekomme Probleme, wenn ich eine palästinensische Fahne bei mir habe. " Sagt er. Und überhaupt, wie könne ein Staat per Definition gleichzeitig jüdisch und demokratisch sein? Das sei genauso unmöglich wie islamisch und demokratisch oder christlich und demokratisch. Erst recht, wenn es eine nicht-jüdische Minderheit im Land gebe, die 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache.
Er möchte in einem säkularen, demokratischen Staat leben, erklärt er. Ein Staat mit dem er sich zumindest grundlegend identifizieren könne. Jeder der heute hier lebt und bleiben möchte, solle selbstverständlich bleiben dürfen. "Gleiche Rechte für alle." Vor allem dürfe der Staat aber keine religiöse oder ethnische Gruppe per Definition von der Staatsidentität ausschließen. Das Recht auf Rückkehr dürfe nicht für eine Gruppe gelten und für eine andere nicht. Das zentrale Problem sei die kolonialistische, zionistische Natur des Israelischen Staates, sagt er und bestellt eine neue Runde Bier.
Ehemaliger arabischer Beauty-Salon in Haifa
Jasuf
Nur drei Wochen nach meinen Gesprächen in Haifas „Intellektuellen-Zirkeln“ bin ich zu Besuch in einem kleinen palästinensischen Dorf namens Jasuf. Luftlinie liegen Haifa und Jasuf nicht weit voneinander entfernt. Zwischen den beiden Orten steht die israelischen Sperrmauer, welche das Westjordanland von Israel abschneidet. Doch nicht nur die Sperrmauer trennt diese zwei Orte voneinander.
Vier Tage lebe ich in Jasuf, teile das Haus mit einer palästinensischen Familie. Nach Auskunft meiner Gastgeber zählt Jasuf ganze 2.000 Einwohner. Das Herz der Gemeinschaft bildet die örtliche Moschee. Jeden Freitag treffen sich hier die Männer des Dorfes zum Gebet. Die Frauen bleiben zu Hause. „Es wäre unvorstellbar, für mich mit einer Frau alleine durch das Dorf zu gehen; es sei denn sie ist aus meiner Familie“, erklärt mir mein Gastgeber. Er ist Ende zwanzig und studiert in Ramallah. Er lebt in Jasuf mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und seiner Schwester. „Die Religion ist hier wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens, “ sagt er.
An den Abenden sitze ich mit ihm und seinen männlichen Freunden zusammen. Die Wasserpfeife macht die Runde. Alkohol ist absolutes Tabu. Ich erzähle, dass ich in Ramallah palästinensisches Bier probiert habe und dass es mir gut geschmeckt hat. „Es gibt palästinensisches Bier?“ fragen meine neuen Bekannten erstaunt. Das wussten sie gar nicht, ergänzen sie.
Gemeinsames Wasserpfeifenrauchen
Die abendlichen Unterhaltungen sind stets angeregt. Mein Gastgeber muss den Übersetzer spielen. Thema unserer Unterhaltungen ist meist die Religion. Man ist interessiert an meiner Weltsicht. Die jungen Männer unterhalten sich offen über alle Facetten der Religion. Tabus gibt es keine. Wir sprechen über Geschlechterrollen in verschiedenen Gesellschaften und den Einfluss von Tradition und Religion. Unsere Ansichten könnten in vielen Punkten wohl kaum weiter auseinander liegen. Als ich den Kampf von Schwulen und Lesben um Respekt und Anerkennung, mit dem Kampf der palästinensischen Minderheit in Israel vergleiche, erblicke ich allerdings eher verwirrte Gesichter um mich herum.
Der Islam sei eine Religion, die kritischen Diskurs fördere, erklärt man mir. Vor allem die Wissenschaften würden im Islam hoch geschätzt. Während die christliche Kirche Bücher wegschloss und Wissenschaftler hinrichten ließ, hätten muslimische Geistliche die Erkenntnisse der Wissenschaft stets hoch geschätzt. Die jungen Männer wissen gut bescheid über islamische Geschichte und sind stolz auf die Errungenschaften der arabischen Welt.
Der Großteil meiner neuen Freunde im Dorf sind Mitglieder der Fatah Partei. Die Fatah ist nach eigener Definition eine säkulare, nationalistische Partei. Religion sei für die Menschen in Jasuf zwar bestimmender Faktor der Identität, erklärt man mir. Trotzdem hätten islamistische Parteien wie die Hamas im Ort nur wenige Unterstützer. Zumindest öffentlich bekräftigt man stets die Unterstützung für die Fatah und den so genannten Friedensprozess mit Israel.
Das Dorf ist arm. Die Menschen leiden unter regelmäßigen Übergriffen von Siedlern, unter den israelischen Soldaten an den Checkpoints, unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Ein Ende des Konfliktes liegt hier im direkten alltäglichen Interesse der Menschen. Das Problem sei das mangelnde Interesse der Mächtigen an unseren Problemen, sagt mein Gastgeber. „Auf beiden Seiten.“
Jasuf - Am linken oberen Bildrand ist eine israelische Siedlung zu erkennen. Die israelischen Settlements liegen fast immer oben auf den Hügelspitzen.
Nablus
„Hast du schon seine Hand geschüttelt?“ Fragt der Professor seine Studentin als wir gemeinsam in einem Cafè beieinander sitzen. Sie schüttelt den Kopf. Das Händeschütteln zwischen Männern und Frauen gehört in Nablus nicht zur alltäglichen Begrüßungszeremonie.
Der Professor scherzt: Für mich müsse die Studentin wohl eine Ausnahme machen, schließlich sei ich Deutscher und die seien weithin bekannt für besonders leidenschaftliches und ausführliches Händeschütteln. Die Studentin lacht und schüttelt meine Hand. Sie trägt Kopftuch und einen langen Mantel - trotz sommerlicher Temperaturen. Neben ihr sitzt ihr zukünftiger Ehemann. Vor einem Monat haben sie zum ersten Mal miteinander gesprochen. Letzte Woche hat er um ihre Hand angehalten.
Der Professor unterrichtet islamische Geschichte an der Universität von Nablus. Nablus ist die bevölkerungsreichste Stadt im Norden des Westjordanlandes. Man sieht hier wesentlich mehr Frauen mit Kopftüchern als in Ramallah. Weder in Geschäften noch Cafès gibt es Alkohol zu kaufen. „In letzter Zeit bekommen traditionalistische islamische Gruppen hier mehr und mehr Zulauf. Die wollen mir doch tatsächlich erzählen, wie ich meine Vorlesungen zu halten habe“, sagt der Professor für islamische Geschichte merklich verärgert. Er spricht fließend deutsch. Vor Jahren hat er in Deutschland promoviert.
Nablus
Am Abend sitze ich mit dem Professor und seinen Freunden beisammen. Es gibt Unmengen an Essen. Auf dem Tisch stehen mehrere Flaschen mit hochprozentigem Alkohol. Regelmäßig trifft sich eine kleine Gruppe von Professoren zu solchen gemeinsamen Abendessen. Es wird diskutiert, gelacht, geraucht und reichlich getrunken. „Es gibt Menschen hier, denen solche Abende ein Dorn im Auge sind“, erzählt mir einer der Männer. „Deshalb hängen wir das auch nicht an die große Glocke.“
Es wird viel gescherzt an diesem Abend: „Warum hat Gott alle Propheten nur in dieses winzige Land geschickt? Und keinen einzigen beispielsweise nach Japan oder …Kanada?“ fragt einer. “Gott muss betrunken gewesen sein, “ scherzt ein anderer. „Darauf trinke ich!“ ruft ein weiterer.“ Einer der alten Herren ergreift eine Flasche Whisky und balanciert sie auf seinem Kopf. „Allah ist groß“, ruft er, während er mit der Flasche auf dem Kopf durch den Raum tanzt. Alle lachen.
Ein Jura-Professor erzählt mir, er sei gegen den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Er sei gegen die Intifada. "Intifada, Widerstand", er könne das nicht mehr hören. Sein Hemd spannt sich über einen gewaltigen Bauch. Er sitzt weit zurückgelehnt in seinem Sessel. In der einen Hand hält er ein Glas Whisky, in der anderen eine Zigarette. Die Aufstände seien schlecht fürs Geschäft, sagt er. Langsam und genüsslich lässt er den Rauch seiner Zigarette aus seinem Mund entweichen.
Der Jura-Professor sei in erster Linie Geschäftsmann, erklärt mein Freund der Islam-Profesor. Viele palästinensischen Geschäftsmänner und Arbeitgeber seien gegen diesen ganzen "Revolutionsquatsch". Sie seien in erster Linie an guten Geschäftsbeziehungen mit Israel interessiert.
Zerrissene palästinensische Flagge
Haifa, Jasuf, Nablus - wer mit den Menschen in Palästina spricht, bekommt einen kleinen Eindruck von der Vielfalt palästinensischer Perspektiven. Sie könnten kaum verschiedener sein. Was sie vereint, ist der Traum von einem Leben ohne Besatzung.